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Als Frau in der Medizin

Heutzutage kann jede*r Arzt werden. Zumindest in der Theorie. 
Diese Aussage war sicher schon Grundlage vieler Kontroversen (auf die ich hier gar nicht in der Tiefe eingehen möchte). Sicherlich gibt es da Menschen, die sagen: Ja, vielleicht muss man hart arbeiten und es dauert lange, aber ja. Und es gibt auch die Personen, die sagen, nein, aus welchem Grund auch immer.
Mir geht es heute aber nicht so unbedingt ums Arzt werden (oder viel mehr Ärztin werden), sondern dieses sein.
Hört sich erst einmal nach einem kleinen Unterschied an, oder vielleicht auch keinem. Hört sich an wie philosophisches Blabla einer Medizinstudentin im Examensdelir. Aber tatsächlich ist es für mich und viele andere jungen Medizinstudentinnen und junge Ärztinnen Alltag.
Was ich meine ist, dass die Gesellschaft im Gesamten einer Frau, oder - noch schlimmer - jungen Frau kollektiv die Fähigkeit abspricht Ärztin zu sein.

Man ruft mich Schwester - ob in Kasack oder Kittel


Ich möchte aus meiner Erfahrung sprechen. 
In der Vorklinik im Krankenpflegepraktikum als Schwester angesprochen zu werden ist eine kleine Ehre - schließlich wirkt man also erfahren und so selbstsicher, als hätte man drei Jahre gelernt und wäre examiniert worden in dem, was man in Wirklichkeit nur 3 mal 30 Tage macht, meistens ohne nennenswerte Praxisanleitung. 
Ich habe es immer als Kompliment gesehen, wenn Schwestern zu mir sagten, dass auch ich eine gute Schwester abgeben würde - und so empfinde ich auch heute noch.
Doch etwas hat sich geändert. Ich bin drei Jahre weiter, ich habe das Physikum und nun auch fast die komplette Klinik hinter mich gebracht und stehe nun vor dem zweiten Staatsexamen. Und in den Famulaturen in der Klinik kam es trotzdem regelmäßig vor, dass ich als Schwester angesprochen wurde.
Versteht mich nicht falsch - an sich ist da nichts Schlimmes dran, und wenn ich während meiner studentischen Dienste auf der unfallchirurgischen Station so angesprochen wurde, hätte ich mir auch nie eingebildet jemanden deswegen zu korrigieren. Doch wenn ich, mit ärztlicher Kleidung, einem Kittel und Stethoskop und Reflexhammer in der Hand vor jemandem stehe, und ich dann trotzdem als Schwester angesprochen werde, verstehe ich die Welt nicht mehr.

Aber bin ich die einzige?


Einigen jungen Frauen geschieht so etwas. Als ich an einem Wochenende wieder einmal studentische Dienste bei den Schwestern machte, fragte mich ein Patient, wann denn die Visite käme. Die war aber in Form einer zierlichen blonden Ärztin bereits vor zwei Stunden gewesen - nur hatte dies niemand so empfunden, da sie anscheinend nicht ärztlich genug wirkte.
Dies ist nur ein Beispiel. 
Aber nicht nur die Patienten - die es vielleicht von der Klinik gewohnt sind, mehr männliche ärztliche Kollegen anzutreffen - sind Schuld, dass man als Frau Tag für Tag mit so etwas konfrontiert wird.

Das Problem hat viele Seiten


Auch die ärztlichen Kollegen tragen dazu bei, dass ich ernsthaft überlege, ob ich noch Lust habe in die Chirurgie zu gehen.
Ich wollte von Anfang an in die Chirurgie: sobald sich in meinem Gehirn die Idee geformt hatte, waren Medizinstudium und Arztsein unwiederbringlich mit der Chirurgie verknüpft. Dementsprechend bin ich immer gerne in den OP und habe meine Famulaturen alle auf chirurgischen Stationen abgeleistet. Und wenn ich daran zurückdenke, wird mir ganz graus, wie viele sexistische Sprüche ich mir anhören durfte.
Es fängt dabei an, dass man als Frau einen Stuhl angeboten bekommt. Das wirkt nett - doch oft liegt das eher am Grundgedanken, dass Frauen der Belastung des langen Stehens und vielleicht auch des Blutsehens nicht standhalten können.
Wenn man es dann von der Position des Zuschauers bis in die erste Reihe, steril an den OP-Tisch geschafft hat, kommt es mitunter vor, dass man (von in diesem Fall komplett männlichen Team, sogar die sterile OP-Assistenz war ein Pfleger) Sprüche zu hören bekommt, ob man denn das schwere Bein des Patienten noch halten könne, Frau Doktor.
Oder wenn der Operateur aus dem benachbarten Saal nach dem Ende seiner OP hereinkommt und überrascht ein Sprüchlein macht, dass Frauen ja doch Haken halten könnten. Dieser Arzt hat übrigens innerhalb einer Woche so viele frauenfeindliche, abwertende Sprüche gemacht, dass ich hoffe, mit dieser Person nie wieder zusammenarbeiten zu müssen.
Zum Beispiel scheint es auch unmöglich, dass ein Arzt eine junge Frau explizit anspricht, ob sie mit in den OP möchte. Das kann auf keinen Fall an ihrem Interesse oder eventuell ein bisschen an Assistenzqualitäten liegen - da muss doch was im Busch sein! Der steht auf sie! 
Und egal wie nett die männlichen Kollegen sind, die meisten schaffen es dann doch nicht, sich den einen oder anderen Kommentar zu verkneifen, in dem ein Dienstzimmer-Bett oder sonst was drin vorkommt. Manche nennen es Humor, wenn man jedoch die Person mit dem hochroten Kopf ist, die von drei Kerlen belacht wird, fühlt es sich nicht so angenehm an.

Zuletzt spielt auch unsere Umwelt eine Rolle in dem, was aus uns letztendlich wird. Wird mir konstant vermittelt, dass eine Chirurgin keine Chance auf Freizeit und Familie hat, lenke ich vielleicht doch ein und mache etwas anderes mit einer besseren Work-Life-Balance. Wie die junge Assistenzärztin in der Gynäkologie, die etwas schroff meinte, dass man als Frau nur in der Gynäkologie in die Chirurgie könne.

Muss das für immer so bleiben?


So, was fangen wir nun an mit all dieser Information? Was sollen all die jungen Schülerinnen und Studentinnen, die Chirurginnen werden wollen, nun denken?


Ich habe für mich aus all diesen Erfahrungen eine Quintessenz gezogen: Es werden Steine in meinem Weg liegen, und die, die sie dorthin verfrachten, tun das nicht immer bewusst oder mit Absicht. Aber ich werde mich nicht von meinem Ziel abbringen lassen - und das solltest auch du, liebe Schülerin, liebe Kommilitonin, liebe Ärztin nicht. Denn ändern wird sich nur etwas, wenn wir durchhalten und uns nicht unterkriegen lassen. 70% Medizinstudentinnen. Das ist eine ganze Menge. Und irgendwann, irgendwann kommt es auch in den Köpfen der anderen an: dass Frauen Ärztinnen und Chirurginnen sind. Dass Medizin, und die Chirurgie im Speziellen keine schlechte Mutter aus dir macht. Dass man nicht nur Arzt oder Ärztin ist - sondern auch andere Interessen und Fähigkeiten haben kann. Und letztendlich, dass wie du aussiehst, wo du herkommst, wie du sprichst oder dein Geschlecht keinerlei Aussagekraft drüber haben, ob du gute Medizin machst.


... ich möchte noch anmerken, dass sicher nicht alle Patienten und Patientinnen junge Medizinerinnen mit ihren pflegenden Kolleginnen verwechseln. Und viele männlichen Kollegen wissen durchaus, was besser ungesagt bleiben sollte, und was Anstand und grundlegender menschlicher Anstand ist. All das oben beschriebene sind meine subjektiven Erlebnisse, die ich in verschiedenen Kliniken gemacht habe.

Kommentare

  1. Ich bin seit ein paar Wochen im PJ und dass ich als "Schwester" angesprochen werde, obwohl ich manchmal - wenn es gerade in Nutzung war - das Stethoskop um den Hals hängen habe (ansonsten ist es in der Kitteltasche verstaut), passiert eigentlich regelhaft.
    Ab und an kommt noch mal jemand auf die Idee, auf das Namensschild zu schauen und fragt dann, was eine "PJ - Studentin" denn genau sei.
    Allerdings habe ich das bisher immer so wahrgenommen - ich bin im Moment auf der Inneren und der Durchschnitt der Patienten ist 88+ - dass die das wirklich gerade nicht so genau begreifen. Die sehen, dass da ein sehr junger Mensch um die Ecke kommt und denken wahrscheinlich, dass so jemand noch gar nicht fertig mit dem Studium sein kann. Das passiert auch einigen meiner Kollegen.
    (Wenn es dann doch mal jemand heraus bekommt und derjenige feststellt, dass er mich in den letzten Tagen immer "falsch" angesprochen hat, ist es ihnen auch oft etwas peinlich).

    Wie es dann auf der Chirurgie wird, wird sich zeigen. Ich persönlich habe in meinen Famulaturen und Praktika aber schon fest gestellt, dass ich mit dem Ton und Umgang im OP tatsächlich nicht zurecht komme und es somit für mich kategorisch ausgeschlossen ist, ein operatives Fach zu wählen.

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