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Als Frau in der Medizin

Heutzutage kann jede*r Arzt werden. Zumindest in der Theorie.  Diese Aussage war sicher schon Grundlage vieler Kontroversen (auf die ich hier gar nicht in der Tiefe eingehen möchte). Sicherlich gibt es da Menschen, die sagen: Ja, vielleicht muss man hart arbeiten und es dauert lange, aber ja. Und es gibt auch die Personen, die sagen, nein, aus welchem Grund auch immer. Mir geht es heute aber nicht so unbedingt ums Arzt werden (oder viel mehr Ärztin werden), sondern dieses sein . Hört sich erst einmal nach einem kleinen Unterschied an, oder vielleicht auch keinem. Hört sich an wie philosophisches Blabla einer Medizinstudentin im Examensdelir. Aber tatsächlich ist es für mich und viele andere jungen Medizinstudentinnen und junge Ärztinnen Alltag. Was ich meine ist, dass die Gesellschaft im Gesamten einer Frau, oder - noch schlimmer - jungen Frau kollektiv die Fähigkeit abspricht Ärztin zu sein. Man ruft mich Schwester - ob in Kasack oder Kittel Ich möchte aus meiner Erfa

Warum will ich Ärztin werden?

Diese eine Frage - jeder Medizinstudent kennt sie. Spätestens sobald der Studien- und Berufswunsch feststeht, fangen alle Freunde und Verwandten an, einen zu löchern. Erst erzählt man stolz, welch selbstlosen oder auch zielstrebigen Traum man hat, doch bald (zumindest ging es mir so) ist es wirklich anstrengend, jedes Mal dieselbe Platte abzuspulen.


Arzt sein heißt humaner Künstler sein. Ernst Schweninger (1850 - 1924), deutscher Mediziner

Ich selber wollte früher nie Ärztin werden. Meine Mutter ist Krankenschwester und ich habe gesehen, wie das Gesundheitssystem mit seinen Mitarbeitern umgeht. Das war für mich ein abschreckendes Beispiel, und für mich war (zumindest damals) klar, dass ich mir niemals mein Leben so von einer Industrie stehlen lassen würde.
Spult man vor zu meinem Schulabschluss, sieht man mich, frisch gebackene Abiturientin, die sich schnellstmöglich in den Studiengang Physik einschrieb - ich war fest der Überzeugung, dass mein Interesse im Grundkurs Physik der Oberstufe ausreichen würde, um mich durch Jahre der Formeln  und Theorien zu tragen.
In einer Kurzschlussreaktion - die viel mit meiner Angst zu tun hatte, in 30 Jahren in der selben Kleinstadt aufzuwachen und alle Träume verpasst zu haben - habe ich mich dann doch noch entschlossen erst ein gap year zu machen, um mich dann auf den Rest meines Lebens einzulassen. Während dieser Zeit kam mir Gedanke, dass die Medizin das Richtige für mich wäre. Obwohl mir stets bewusst war, dass in dieser Branche einiges nicht richtig läuft, habe ich ein neues Ziel ins Auge gefasst: Irgendwann Ärztin sein.

Aber warum eigentlich? Es gibt so viele Berufe, einige sind besser bezahlt, und viele verlangen weniger persönlichen Einsatz und Aufopferung. Ich hätte ja auch eine Sprache studieren können und dann in den Journalismus oder die Schriftstellerei gehen können (oder es zumindest versuchen). Ich habe tatsächlich zwei Semester Jura in Berlin studiert, da ich bei meiner ersten Bewerbung bei hochschulstart nicht angenommen wurde. Das war auch gar nicht so schlimm, und ich war auch gar nicht so schlecht, aber zu einem bestimmten Moment hat mich meine damalige Situation so hart getroffen (Was mache ich hier eigentlich? Warum bin ich nicht glücklich? Weil ich etwas studiere, das immer nur zweite Wahl sein wird? Weil ich mich mit etwas zufrieden gebe, das nie genug sein wird?), dass ich zwei Wochen kaum das Bett und die Wohnung verlassen habe. Diese quasi-depressive Mini-Episode konnte ich erst erfolgreich hinter mir lassen, als ich mir selber gesagt habe, dass ich Medizin studieren werde. Da hat sich eine schwere Last gelöst und ich war frei von meiner eigenen Fehlentscheidung. Man macht Fehler, man tut das Falsche, aber es ist selten zu spät, um nicht noch die Richtung zu ändern.

Jetzt, viereinhalb Jahre später, habe ich die lange Reise Medizinstudium fast hinter mir. Ich sehe all die glücklichen Erstis, blutjung oder schon ein bisschen älter, und sie alle freuen sich so sehr, angenommen worden zu sein. Ich selbst habe mehr Augenringe als mir lieb ist und ich sehne mir Momente herbei, in denen die Medizin nicht mein Leben und mein Denken beherrscht. Habe ich die Liebe zur Medizin verloren? 

Als ich Ersti war, habe ich auf die Frage, warum ich Medizin studiere geantwortet, dass es für mich die perfekte Mischung aus allen Bereichen der möglichen Arbeitswelt ist: Es ist naturwissenschaftlich, ohne Frage, und es ist ein sozialer Beruf, in dem man viel Kontakt mit Menschen hat. Und zuletzt ist es für mich - mit dem Ziel der Chirurgie vor den Augen - auch ein handwerklicher Beruf, in dem nicht nur mein Kopf mein Werkzeug ist, sondern eben auch meine Hände. Ich erschaffe etwas Neues, oder ich zumindest mache ich aus etwas Kaputtem etwas, das wieder funktioniert.

Auch wenn ich mittlerweile hinter die Kulissen der Medizin sehen konnte und der fragwürdige Glanz der weißen Kittel und Stethoskope schon ein bisschen matter geworden ist, möchte ich trotzdem noch approbieren. Ich habe nämlich immer noch die Hoffnung, dass sich das ganze System langsam zum Guten wenden wird. Das mag naiv klingen. Doch gerade in Anbetracht der hohen Zahlen weiblicher Studierender wird in allen Gebieten ein Wandel kommen müssen, um zum einen den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden, zum anderen aber auch denen der Ärzte. Denn wir sind ja auch Menschen - mit einem Leben außerhalb der Klinik und der Praxis.


Warum wollt ihr Ärzte werden? Welche Motivation erwartet ihr von euren Ärzten? Und welche Änderungen sollten in unserem Gesundheitssystem stattfinden, damit alle zufrieden sind?


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